FAHRZEUGHIGHLIGHTS

Sicherheit aus Schwedenstahl

Volvo und Sicherheit sind ja ein Paar wie Öre und Sund. Aber was steht wirklich dahinter? Zuerst einmal eine Materialschlacht, die ihresgleichen sucht. Das Blech ist bis zu 1,44 mm dick und ganz unter Sicherheitsaspekten verarbeitet. Die sehr hohe Kofferaum-Ladekante schützt – mit einem lachenden und einem weinenden Auge – zuverlässig vor dem Eindringen fremder Verkehrsteilnehmer und eigener Gepäckstücke in den Kofferraum. Die Dachsäulen sind im Inneren zusätzlich profiliert und die Dachkante ist ein ausladendes Hohlprofil, was man dem heute fast zierlich wirkenden Aufbau gar nicht ansieht, der dennoch über acht Tonnen Belastung verträgt. Vor den 50 kg schweren Vordertüren schützen dicke Blechwangen den Fußraum und es gibt zahllose Details mehr.

Wichtiger noch als die pure Materialschlacht war die gute Verarbeitung und Abstimmung der Konstruktion. Der beste Beweis für die Sicherheit ist eigentlich, dass die Grundkonstruktion der 164er und 140er bis in die neunziger Jahre hinein Bestand hatte ohne die drastisch verschärften Normen zu verletzen – geschweige denn ihre Insassen. Als es bei der deutschen Oberklasse-Konkurrenz noch Krümelglasscheiben gab, bot Volvo serienmäßig High-Impact Verbundglas an. Bereits 1972 wurde der Seitenaufprallschutz eingeführt. Die Detailverliebtheit setzte sich in verschalten Sicherheitsgurtrollen fort und endete auch noch nicht am gepolsterten Dach und dem 2x3 Bremssystem. In einem Detail ist die 100er-Serie sogar ihren Nachfahren bis auf den heutigen Tag voraus: Es gab bei Volvo seitdem nie wieder verstellbare Kopfstützen.

Volle Kante - Volvos Schluckvermögen

Satte 675 Liter faßte der Kofferraum der 100er Limousinen, was sich unter anderem aus den Anforderungen an gute Traktion auf winterlichen Straßen ergeben hatte. Dazu wurde der hintere Fahrzeugüberhang für eine ausgewogene Gewichtsverteilung entsprechend groß gestaltet – und mit ihm das Gepäckabteil. 

Große Klappe: der Volvo 145

 Als fortschrittlichstes Modell der Baureihe nimmt der 145 mit seinem Raumkonzept den Kombi-Boom um fast zwei Jahrzehnte vorweg. Die topfebene Ladefläche mit »Schmuggelfach« darunter, die außen angeschlagenen Scharniere und das völlig zeitlose, praktische Heckdesign lassen den Kombi um einiges jünger aussehen, als er ist.

So blieb denn auch das Kombi-Heck bei allen Modifikationen bis in die neunziger Jahre praktisch unverändert. Als absolutes Highlight setzte freilich die Hochdachversion »145 Express« im wahrsten Sinne noch eins oben drauf.

Foto Axel Remmling
Foto Axel Remmling

Abgasreinigung serienmäßig

Die Zeit um 1970 war faszinierend aber ungesund – mit Abgasen, so ungefiltert wie der damalige Fortschrittsdrang. Es war noch ein weiter Weg bis zu geregelten Katalysatoren, die später übrigens erstmals von Volvo angeboten wurden. 

Die Automobilhersteller wurden zuvor von den kalifornischen Abgasgesetzen zu nachhaltigen Entgiftungsmaßnahmen gezwungen, boten diese aber auf dem deutschen Markt nicht an. In einem Artikel zum Stand der Dinge in Sachen Abgasreinigung schrieb die Zeitschrift Auto Motor Sport in der Ausgabe vom 25. April 1970 (S.168): »Bei dieser Gelegenheit sei vermerkt, dass Volvo schon seit fast zwei Jahren alle Modelle abgasgereinigt liefert, unabhängig von Vorschriften in dem betreffenden Exportland. Ein leider einsam dastehendes Beispiel.« Die Abgasreinigung erfolgte u.a. durch temperierte Ansaugluft und ein lastabhängig betätigtes Regelklappensystem im Ansaugkrümmer. Volvo baute sein Know-how auf diesem Gebiet weiter aus und bot ab 1974 den letzten Jahrgang des 164E bleifreitauglich und mit ungeregeltem Katalysator in den USA an. Zu der Zeit war er in Deutschland schon nicht mehr erhältlich. So wurde der Volvo 164 zum Ende seiner Karriere noch einmal zum Pionier, denn er war weltweit das erste Serienfahrzeug mit Katalyssator.

Sitzen wie Gott in Schweden

Die folgende Aufzählung klingt eigentlich nicht nach 1970, es sei denn, es handelt sich um die Serienausstattung eines Volvo 164: Höhenverstellbarer (!) Fahrersitz mit Echtleder, höhenverstellbare Kopfstützen, justierbare Lendenwirbelstütze, Liegesitzbeschläge sowie Netze an der Rückenlehne. Manche Qualitäten werden erst heute so richtig deutlich. Es gab tatsächlich schon Reboard-Kindersitze – der Beifahrersitz brauchte dazu nur andersherum montiert werden. Und seit 1966 besaßen die Sitzlehnen eine Rutschkupplung gegen Heckaufprall-Schläge. Das hatte sogar Volvo selbst vergessen, als dieses Feature (WHIPS genannt) 1998 bei Einführung des S80 als neu gefeiert wurde – aber dafür gibt es ja uns ...

Die Highlights der anderen Sorte

Ganz klar, wir im Club schätzen die 164er und 140er Volvos außerordentlich und ein gewisser Spleen unterstützt uns dabei tatkräftig. Bestimmt ist aber auch interessant, mit welchen Schwächen wir uns dabei arrangieren, denn auch dabei gibt es ein paar »Highlights«.

Trotz Tauchgrundierung und siebenfacher Lackierung ist der größte Feind der 140er und 164er braun und gefräßig. Auch der Spritverbrauch ist so, wie man es von den Wikingern außerhalb der Dreimeilenzone gewohnt ist. Wer seinem Automatik-164E freien Auslauf gönnt, erlebt eine ganz persönliche Ölkrise.

Foto Henning Köster
Foto Henning Köster

Dass nach der Gestaltung des Innenraums nur noch ein paar Öre für die Holzfolie am Armaturenbrett übrig waren, kann man eigentlich schon wieder als zeitgenössisch verbuchen.

Ziemlich abgedreht sind auch die labilen, geklebten Drehfenster-Scharniere und -Verschlüsse. Die UV-Strahlung macht gemeinsame Sache mit der Schwerkraft und führt die Verschlußknebel regelmäßig dem Fußraum zu. Die notorisch vergilbten Kunststoff-Chromteile am Heck passen im Frühstadium des Verfalls übrigens ausgesprochen gut zur dunkelgrünen Lackierung.

Keine glückliche Hand hatte Volvo bei der Abstimmung des Sechszylinder-Vergasermotors, der trotz zurückhaltender Leistungsausbeute (130 PS aus drei Litern Hubraum) nach sehr hochoktanigem Sprit verlangte (100 Oktan bei überwiegendem Stadtverkehr). Offenbar, um den gleichen Luftfilter wie beim Vierzylinder verwenden zu können, fielen die Ansaugrohre sehr unterschiedlich lang aus. So konnte man nach jeder weiteren Reduzierung des Bleihehaltes im Kraftstoff mit dem Gasfuß neue Klingeltöne abspielen - lange bevor das bei Handys modern wurde.